Montag, Mai 20, 2024
StartKunstWeben auf Sylt erleben - Interview mit Annelotte Jessen

Weben auf Sylt erleben – Interview mit Annelotte Jessen

Jeden Dienstag verwandelt sich das Muasem Hüs in einen Ort, wo die Tradition des Webens nicht nur gepflegt, sondern mit Leben gefüllt wird. Zwischen 15 und 17 Uhr findet sich eine Gruppe erfahrener Weberinnen zusammen, um aus Schafswolle, Seide, Baumwolle, Leinen und anderen Garnen wahre Kunstwerke zu erschaffen. Unter ihren geschickten Händen entstehen u.a. Stoffe, Schals, Bildteppiche, Tischläufer, Kissenbezüge, Badematten, Geschirrtücher – jedes Stück ein Unikat. 

Dieses kreative Schaffen zieht Besucher in seinen Bann und lässt die traditionelle Handwerkskunst in neuem Licht erstrahlen. Die Offene Werkstatt im Muasem Hüs, einst hervorgegangen aus der Keitumer Museumsweberei, ist ein lebendiges Zeugnis der fortwährenden Bedeutung und Schönheit des Webens, eine Praxis, die tief in der Kultur verwurzelt ist und durch die Hände erfahrener Weberinnen weitergegeben und bewahrt wird.

Wir haben Annelotte Jessen, die Leiterin der Gruppe interviewt.

Welche Materialien verwenden Sie am häufigsten für Ihre Webprojekte und wie entscheiden Sie, welche Materialien für ein spezifisches Projekt am besten geeignet ist? Gibt es lokale Materialien von Sylt oder der umliegenden Region, die Sie bevorzugen?

Für unsere gefertigten Teppiche benutzen wir gewaschene und gekämmte Schafswolle  von den Deichschafen auf Sylt, die anschließend dick versponnen, verzwirnt und gesponnen wird. Kissen weben wir auf einer dünnen Wollkette und passendem Schußgarn oder einer Baumwollkette, wobei anschließend mit Chenillegarn aus Baumwolle geschossen wird. Für unsere Handtücher verwenden wir Cottolin und Baumwollmaterialien. Zum Einsatz kommt daneben auch Viskosematerial und für unsere Kinderwebstühle benutzen wir auch Chemiefasern.

Unsere Meisterin und Bildweberin Margret Zywina benutzt zum Weben Wolle.

Weben in Morsum
Wie nähern Sie sich dem Prozess der Farbauswahl in Ihren Webprojekten? Gibt es spezifische Farbpaletten oder -kombinationen?

Mit der Zeit entwickelt man ein Gefühl für das Zusammenpassen von Farben. In der Webausbildung findet Farbenlehre statt. So hat die Farbenlehre von Itten und von Johann Wolfgang von Goethe immer noch ein hohes Gewicht. Wenn man in die Natur schaut, sieht man außerdem eine wunderschöne  Farbenpracht, die sich in der Weberei umsetzen läßt. 

Wie bilden Sie sich weiter? Welche Orte/Messen haben Sie in den letzten Jahren besucht?

In Deutschland gibt es heute verschiedene Möglichkeiten, sich weiter zu bilden. In Kukate im Wendland gibt es Wochen- und Wochenendklassen, die Webschule Sindelfingen im Süden Deutschlands bildet ebenfalls aus. Daneben gibt es an unterschiedlichen Orten Fortbildungsmöglichkeiten über Kurse. In Kukate habe ich über 4 Jahre meine Ausbildung absolviert und habe seit über 20 Jahren immer noch Kontakt zu der Weberklasse, es wird sich jährlich an unterschiedlichen Orten getroffen. Persönlich bin ich daneben noch mit einem kleinen Webstuhl im Gepäck über die Jahre in die Dordogne und Bourgogne nach Frankreich gefahren und habe mich dort mit einer gemischten Gruppe aus Niederländern und Franzosen zur Fortbildung getroffen, die von Erica de Ruiter und Maria van der Meer begleitet wurden. 

Seit den 90-iger Jahren gehöre ich zu einem Kreis von Webern in Ostfriesland, der sich früher regelmäßig monatlich getroffen und dieses inzwischen auf ca. drei Treffen im Jahr reduziert hat. Es wurden Themen zur Weberei ausgearbeitet und vorgetragen, Reisen nach Amsterdam, zur Firma Louet, zum Webermarkt nach Hoorn in den Niederlanden organsiert. 2023 besuchte unsere Gruppe den Heimatverein in Scheeßel, wo zu der Zeit eine Web- und Blaudruckausstellung stattfand.

Im Jahr 2022 fand die VÄV-Messe in Halmstadt/Schweden statt. Diese Messe ist für Weber immer wieder eine Inspiration.

Andere Länder – andere Sitten: Gilt das auch für das Thema Weben?

In Amerika finden Treffen der Handweavers Guild statt, die ich zwei Mal – 2000 und 2002 – in Cincinnati und Vancouver besucht habe. Im nördlichen Europa – Finnland und Schweden -wird in vielen Webschulen unterrichtet. In Dänemark gibt es Webstuben, in denen sich meistens Frauen treffen.  In den Niederlanden finden Unterrichtseinheiten in kleinen Webstuben statt, es wird sich regelmäßig zu Fortbildungseinheiten getroffen. Auch in Frankreich ist man sehr interessiert, das Handwerk zu erhalten. Gut bekannt ist mir die Webschule von Betty Briand an der Loire.

Welche Innovationen gibt es im Thema Weben und wie experimentieren Sie / Ihr Gruppe damit?

Unsere Gruppe ist nur sehr klein. Ich versuche schon, auch einmal etwas anderes auszuprobieren. So entstanden in diesem Winter gewebte Badematten aus Trikotmaterial, das vorher eingefärbt wurde, um dann verwebt zu werden.

Da wir auf der Insel leben und es sich anbietet, etwas für die Wärme auf Bänken und Sitzplätzen zu tun, entstanden unsere gewebten „POKISSEN“, die man gut für unterwegs mitnehmen kann.

Woher holen Sie Ihre Inspiration für neue Webmuster und -designs? Inwiefern fließen die Natur, die Geschichte und die kulturellen Aspekte von Sylt in Ihre Werke ein?

Da ich eine Sammlerin bin, gibt es bei mir auch eine umfangreiche Bibliothek von internationalen Webbüchern mit vielen Webmustern. Von den Sylter Webern gibt es eine Reihe von alten Webmustern, wie z.B. von einem Hochzeitskissen. Margret Zywina hat z.B. ein Bildgewebe mit einer Mohnblüte gewebt, daneben alle Sylter Kirchen und Leuchttürme.

Technische Herausforderungen und Lösungen: Können Sie eine besondere technische Herausforderung beschreiben.

Eine technische Herausforderung kann zum Beispiel sein, wenn sich die Fußtritte durch die Aufhängungen verkreuzen und man sich wundert, warum ein flüssiges Weben nicht möglich ist. Das Problem ist nicht sofort sichtbar.

Wie unterscheidet sich Ihr Ansatz beim Unterrichten von Webtechniken für Anfänger im Vergleich zu fortgeschrittenen Webern? Gibt es spezifische Techniken oder Projekte, die Sie Neulingen empfehlen, um ein solides Fundament zu schaffen?

Anfänger neigen dazu, einzuweben oder ungleichmäßig mit dem Kamm anzuschlagen. Bei Fortgeschrittenen sieht das Gewebe gleichmäßiger aus. Anfängern versuchen wir einen guten Einstieg ins Weben zu geben, indem wir sie auf diese Problematiken hinweisen.

Gemeinschaft und Kollaboration:

Da wir eine Gruppe von Webern-, Strickern-, Spinnern sind, haben alle Teilnehmer in der Gruppe die Möglichkeit durch Informationen aus dieser zu lernen, was auch gerne angenommen wird.

Inwiefern spielt Nachhaltigkeit eine Rolle in Ihrer Webpraxis und in den Aktivitäten Ihrer Gruppe?

Wir nutzen die Schafwolle unserer Insel und haben ebenfalls Versuche mit Brennnesseln angestellt. Ein sehr mühsames Projekt, aber auch diese Pflanzen lassen sich verspinnen und weiter verarbeiten. Vor Jahren habe ich meine selbst gesponnenen Flachsfasern = Leinen verwebt.

Wie groß ist das Interesse von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen an dieser wunderschönen Tradition?

Das Interesse von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen an der Tradition des Webens ist vorhanden, doch es ist sehr schwer, sie zum Mitmachen zu ermuntern. Vor einigen Jahren kamen Kindergartenkinder …. Wo sind sie jetzt? Das Mobiltelefon scheint interessanter zu sein und darf bei einem Besuch bei uns auch nicht fehlen. Wir sind an Schulen herangetreten, doch dauert es wohl noch etwas, bis sich diese jungen Menschen und Erwachsenen auf die alten Traditionen besinnen!

Vielen herzlichen Dank für das Interview auf Syltexklusiv

Bevor wir nun die Handwebereien auf Sylt auflisten, möchten wir Euch an unserem kleinen Teaservideo teilhaben lassen.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Standard. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Weitere Informationen

Handwebereien auf Sylt:Nach dem ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart

List
Handweberei der Werkgenossenschaft Klappholtal 1921-1939
Johannes Jacobsen 1947-1951
Paul Kluge 1949 – 1950

Kampen
Margarethe Schirmer-Doman 1934 – 1963
Asmussen & Co. ca. 1945 – 1956
Erika Ludwig-Hermann 1950 – 1977
Gunde Clauen-Spielmann 1956 – 1964

Wenningstedt
Nordfriesische Weberei Lange ca. 1948 – 1950

Westerland
Woll-Cords, Inh. Johann Cords. 1921 – 1962
Alt-Angler, Luise Harders 1934-1985
Web-Christel, Christel Lange 1951-1978
Ina Zachariasen, Bildwerberin 1966 – 2002
Weewelkaamer, Silke Wessel 1989 – 2000

Keitum
Museumsweberei, Heimatmuseum. Ike Sievertsen-Nissen 1921/22 – 1929
Webkate, Ike Sievertsen-Nissen 1930 – 1934
Danach ,,Die Webkate“, Ike Sievertsen-Nissen 1934 – 1965
Friesische Webstube, Johanne Jorgensen 1931 – 1950
Friesische Webstube, Christel Lange 1950 – 1957
Erna M. Bleicken 1934 – 1955
Anna Johannsen 1934 – 1954
Hanna Miiller und Buch 1936- 1956
Webstube, Anna Siewertsen 1953 – 1977
Katharina Jensen 1954 – 1978
Weberhof, A. Christ und Herm. Rassow 1954 – 1995/96
Sabine Beyschlag, Bildweberin 1978 – 1980
Weewelkaamer, Silke Wessel 1979 – 1989
Weewelkaamer, Silke Wessel 2000 – 2008
Museumsweberei, Altfriesisches Haus 1999 – 2011 (Juli)

Morsum
Handweberei, Ingrid Scheer 1982 – 1996

Rantum
Woll-Cords, Joh. Johanna Cords 1950 – 1962
Kerstin Ludwigsen 1999 – 2004

Titelfoto: Annelotte Jessen am Webstuhl Foto: Syltexklusiv

Weben auf Sylt erleben – Interview mit Annelotte Jessen

Neueste Beiträge

spot_img