SyltKrimi, Dünengrab Teil 6

Heute Teil 6, Teil 5 finden Sie hier. Neu hier? Hier startet der Fortsetzungskrimi.

Die Abenddämmerung setzte bereits ein, als Bente und Ulrike die Wache in Westerland erreichten.

»Na, Brodersen, hast du dich verfahren?«

Hansens Mimik verriet nicht, ob er es sarkastisch oder fürsorglich meinte.

Ulrike lief schwanzwedelnd auf ihn zu und drückte sich an ihn.

»Na, Mädchen, du bist ja ne Hübsche!«

Er zog einen Hundekeks aus seiner Tasche und gab ihn Ulrike, die begeistert vor ihm saß und auf mehr wartete.

Bente lächelte und schwenkte die weiße Fahne. Der 65-jährige Hansen war nicht mehr zu ändern. Typisch für den Norden war, dass er den Nachnamen und das Du benutzte.

Er war und blieb ein Sturkopf, der die Frau lieber hinter dem Herd sah, aber er war kein schlechter Mensch. Er mochte Hunde!

Hansen war zwar offiziell noch der Dienststellenleiter, aber mit Eintreffen auf der Insel hatte Bente den Fall übernommen. 

»Ich habe zwar gehört, dass die alte Polizeiwache einsturzgefährdet war und geräumt werden musste, aber jetzt überrascht es mich doch!«

Mehrere Wohncontainer standen auf dem Parkplatz zwischen dem Funkturm und dem Bahnweg. Dies stellte die behelfsmäßige Unterkunft für die Polizeiwache dar.

Es wirkte eher wie eine Flüchtlingsunterkunft, aber zumindest hielt das Blech den Regen ab!

»Sieht ein bisschen karg aus.«

Bente schaute sich um.

»Gemütlich geht anders!«

Hansen zuckte mit den Schultern und wies auf eine hintere Tür.

»Dahinter gehts zum Dienstzimmer.«

Bente nahm ihre Reisetasche und betrat den Raum, während Ulrike, auf ein weiteres Leckerli hoffend, zu Hansens Füßen liegenblieb.

Auf 10 Quadratmetern befand sich ein Metallbettgestell, auf dem eine Matratze, eine Wolldecke und ein Kissen lagen, daneben ein Spind und ein kleiner Tisch mit Stuhl.

Das Fenster zum Bahndamm war mit einem Rollo versehen und hinter einer Abtrennung entdeckte sie das Minibad, das an ein Wohnmobil erinnerte.

»Ist nicht das Hilton!«, bemerkte Hansen trocken.

»Gibts hier ne Kaffeemaschine?«, fragte Bente ernüchtert.

»Im Spind steht ein Wasserkocher.«

»Na, das ist ja purer Luxus!«

»Tassen, Tee und löslichen Kaffee findest du in der Teeküche im Nachbarcontainer.«

Bente beschloss, für diese Nacht hierzubleiben und sich morgen um eine andere Bleibe zu kümmern. 

»Was macht ne Deern wie du bei der Mordkommission?«

Hansens Gesichtsmuskeln mussten aus Stein sein, so unbeweglich waren sie. Aus seinem Gesicht vermochte Bente nichts herauszulesen.

»Ich überführe Mörder!«

»Na, dass du keine Fischbrötchen machst, ist mir auch klar, aber weshalb geht ne Frau zur Mordkommission?«

»Ich habe mich auf die Stelle hier auf Sylt beworben, um die kleinen und normalen Fälle zu bearbeiten, statt mich um Mord und Totschlag zu kümmern. Und Sylt ist eine der wenigen kriminalpolizeilichen Abteilungen, die ungegliedert sind und alle Fälle übernehmen.« 

»Aber du bist ne Frau!«

Bente starrte ihn fassungslos an. In der heutigen Zeit, mit Me-Too-Debatten und Genderbewusstsein, war diese Aussage von einem Beamten bedenklich.

»Wo soll ich denn deiner Meinung nach arbeiten? Ordnungsamt, am Herd stehen oder Strickmuster falten?«, erwiderte sie angriffslustig.

»Nee, Brodersen, so hab ich das nicht gemeint. Du bist Mutter, vielleicht sogar irgendwann Großmutter, wenn alles gut läuft.«

»Und Mütter können keine gute Arbeit in der Mordkommission leisten?«

Bentes Ärger über ihren Vorgänger nahm durch diese Reduzierung auf das Muttersein noch zu.

Dem alten Polizisten entging das nicht.

»Halt den Ball flach, Brodersen, ich meine etwas ganz anderes.«

Bente starrte ihn wutentbrannt an. 

Er tätschelte beruhigend Ulrikes Kopf, die die Spannungen spürte und sich die Schnauze leckte.

»Mütter sollen Kindern Liebe, Achtung, Respekt und moralische Werte vermitteln. Das, was du jeden Tag mitansehen musst, macht doch etwas mit dir. So etwas ist unterschwellig immer präsent!«

Bente schluckte ihren Ärger herunter und staunte. Seine Äußerung traf zu!

»Und warum sollten Väter ihren Kindern nicht auch Werte wie Liebe, Respekt oder Achtung vermitteln?«

Bente war es leid, sich immer wieder aufs Neue in einer vermeintlichen Männerdomäne behaupten zu müssen.

»Ganz ehrlich, Brodersen?«

Hansen ließ den Anflug eines Schmunzelns erkennen.

»Ich bitte darum!«

»Männer sind einfach zu dämlich dafür. Meiner Ansicht nach sollten Frauen die Welt gestalten und formen. Männer sollten, wie von der Evolution vorgesehen, Dinge wie Viehzucht, Ackerbau und Jagd betreiben. Auch nach Verbrechern.«

Bentes Mund stand offen. Sie hatte den alten Friesen vollkommen falsch eingeschätzt. Dass sich hinter dieser derben Fassade solches Gedankengut verbarg, hatte sie nicht erwartet.

»Das Unglück der Welt heißt Testosteron.«

Jetzt musste Bente grinsen.

»Politik sollte Frauensache sein!«

Hansen fischte noch ein Leckerli aus seiner Tasche und hielt es Ulrike hin.

»Jetzt weißt du, weshalb ich der Meinung bin, dass du hier falsch bist. Und wenn du noch so gute Arbeit leistest, woanders wäre dein Talent von mehr Nutzen.«

Bente sah ihn gerührt an.

»Danke, Hansen!«

»Wofür?«

»Für deine ehrlichen Worte.«

»Das war kein Kompliment! Ich hab nur nett umschrieben, dass du hier eigentlich nichts zu suchen hast, aber ich bin ab Montag raus und es kann mir egal sein!«

Harte Schale, weicher Kern! Offenbar war es Hansen peinlich, sich so weit aus dem Fenster gelehnt zu haben.

Bente unterdrückte ein Lächeln und rief die bettelnde Ulrike zu sich.

Heike Röder klopfte an den metallenen Türrahmen und trat schüchtern ein.

»Frau Brodersen?«

Sie war wahrscheinlich nicht älter als Anka oder die vermisste Juliette.

»Sagen Sie Bente!«

»Ja, Frau Brodersen, äh, Bente!«

»Haben Sie was rausgefunden?«

»Juliette Durand ist tot!«

Bente und Hansen reagierten überrascht, wenngleich die Befürchtung sich damit bestätigte.

»Wo ist die Leiche gefunden worden?«

»Das weiß ich nicht, aber das französische Einwohnermeldeamt hat meine Anfrage bearbeitet und die Inhaberin des Reisepasses ist gestorben.« Bente zog die Augenbrauen zusammen.

Heike Röder schluckte nervös.

»Vor 5 Jahren!«

In Kooperation mit der Krimi-Autorin Krinke Rehberg präsentieren wir Ihnen den fesselnden Syltkrimi Dünengrab in mehreren Teilen. Jeden Samstag erscheint morgens ab 8.00 Uhr ein neuer Teil, des SyltKrimis. Lehnen Sie sich zurück, lassen Sie sich mitreißen und verpassen Sie Woche für Woche keine Folge des SyltKrimis.

Weiter geht es in Teil 7 SYLTKRIMI Dünengrab am kommenden Samstag. 

Titelbild: Unis Riba/Shutterstock.com

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