Bevor ich über die Entschleunigung rede, muss ich noch was loswerden:
Die Karton-Kapitäne der Papiermülltonne
Willkommen in der wunderbaren Welt des deutschen Recycling-Dramas. Nicht nur auf Sylt, überall! Mein heutiges Hauptthema: die unerschütterliche Ignoranz der Karton-Kommandanten. Ja, jene fabelhaften Mitmenschen, die glauben, dass die blaue (oder grüne, je nach Region) Tonne für Papier ein magischer Abfall-Schlund ist, der selbstständig kartonartige Monstrositäten zerlegt, den Plastikanteil herausfiltert und mit einem höflichen „Danke für Ihre Kooperation!“ alles recycelt. Spoiler: Nein, tut sie nicht.
Diese Experten des Entsorgungsminimalismus nehmen ihre Bestellungen, entfernen säuberlich das Empfängeretikett (wer will schon, dass der eigene Name auf einer kaputten Verpackung auftaucht?) und denken sich: „Zerlegen? Warum? Das macht doch jemand anderes!“
Natürlich ist der Gedanke naheliegend, dass die Mülltonne ein interner Tetris-Champion ist und diese kartonalen Brocken ohne weiteres verkleinert. Doch statt dem gewohnten Stapel feiner Papierschnipsel finden wir am Ende der Straße einen wahren Karton-Apokalypsen-Bunker, der aussieht, als hätte Amazon beschlossen, eine Außenstelle in der Tonne zu eröffnen.
Und dann kommt der Höhepunkt: die Plastik-Einlagen. Diese hinterhältigen kleinen Biester, die in Kartons lauern wie ungebetene Gäste bei einer Party. Warum sollte man die auch entfernen? Ist doch alles Papier, oder? Nein, liebe Recycling-Pioniere, Plastik bleibt Plastik, auch wenn es in einem Karton steckt. Pro-Tipp: Plastik gehört in die Gelbe Tonne oder den Sack, nicht in das Papier-Paradies.
Das Schlimmste aber: Diese Leute sind überzeugt, dass sie das Richtige tun. „Ich habe recycelt, was wollt ihr von mir?“ Genau das ist die Einstellung, die uns hierher gebracht hat. Ihr Ego, größer als die Verpackung ihres neuen 85-Zoll-TVs, verhindert jede logische Einsicht. Denn: Wieso soll man sich um so etwas Banales wie Mülltrennung Gedanken machen? Dafür gibt es doch Recycling-Märchenonkel bei der Müllabfuhr.
Liebe Kartonhelden: Wenn wir alle nach diesem Prinzip handeln, sieht unser Planet bald aus wie die blaue Tonne nach eurem letzten Wocheneinkauf – eine undurchdringliche Mauer aus Pappe und Plastik. Lasst uns doch mal was Neues ausprobieren: Denkt. Zerlegt. Trennt.
Das ist nicht schwer. Es erfordert nur einen winzigen Moment Nachdenken. Vielleicht – ganz revolutionär – sogar ein bisschen Eigenverantwortung. Oder bleibt einfach bei eurem Motto: „Nach mir die Müllabfuhr.“ Aber wundert euch bitte nicht, wenn eines Tages eure Nachbarn die Tonne schließen – und euch gleich mit einsperren.
Ende der Durchsage. Doch wo war ich stehen geblieben.
Ah, Sylt im Spätherbst – endlich ist es soweit: Die Insel darf durchatmen. Die hektischen Sommermonate mit ihrer Flut von Besuchern, überfüllten Stränden und wartenden Fahrrädern vor den Cafés sind vorbei. Und bevor die festliche Weihnachtszeit mit ihrem eigenen Zauber und der erwartungsvollen Vorfreude auf den Jahreswechsel die Insel in eine ruhige Feierlaune hüllt, erleben wir gerade die vielleicht kostbarste Zeit des Jahres.
Der Herbst auf Sylt bringt eine willkommene Pause, eine Phase des bewussten Rückzugs. Die Touristenströme haben sich auf ein angenehmes Maß reduziert, und damit auch jene speziellen Gäste, die glauben, ihr zehntägiges Ferienapartment mache sie automatisch zum König der Insel. Sie stolzieren durch die Straßen, als sei Sylt ihr persönlicher Spielplatz, und hinterlassen ein Image, das weder den wirklich herzlichen Einheimischen noch den entspannten, respektvollen Gästen gerecht wird.
Doch jetzt, da diese selbsternannten Monarchen abgezogen sind, zeigt Sylt sein wahres Gesicht: rau, ehrlich, wunderschön. Es ist die Zeit, in der die Insel einem leisen Atemzug gleicht. Die Wellen rauschen, die Strände sind weit und leer, und selbst in Westerland spürt man einen Hauch von Ruhe, der im Sommer oft fehlt. Es ist diese einzigartige Stille, die Sylt in den Herbst- und Wintermonaten so besonders macht.
Ein anderer Rhythmus, eine neue Intensität
In dieser Zeit zeigt die Natur, was sie kann. Die Sonne geht spät auf und früh unter, die Farben des Himmels reichen von dramatischem Grau bis hin zu einem leuchtenden Orange, das sich in den Wellen spiegelt. Das ist Sylt in seiner reinsten Form. Keine Instagram-Pose, keine überfüllten Beachclubs, sondern ungeschminkt und echt.
Die Herbst- und Wintermonate geben uns die Chance, wieder zur Ruhe zu kommen – eine Qualität, die Sylt wie kaum ein anderer Ort hat. Es ist die Zeit für lange Gespräche bei einem Tee mit Rum, für Spaziergänge am Strand, bei denen der Wind einem die Gedanken freipustet, und für das In-sich-Gehen, um das turbulente Jahr langsam abzuschließen.
Mein Wunschzettel für 2025
Doch ganz ohne Wünsche gehe ich nicht ins neue Jahr. Mein erster Wunsch? Mehr Respekt – für die Insel, die Natur und füreinander. Ich hoffe auf ein wachsendes Verständnis für den Dünenschutz, weniger Hundehalter, die ihre Vierbeiner in geschützten Bereichen „ein bisschen laufen lassen“, und mehr Menschen, die Sylt nicht nur als Kulisse für einen schnellen Urlaub sehen, sondern als einen besonderen Ort, den es zu bewahren gilt.
Ich träume von einem Sylt, das auch im nächsten Jahr weniger von Egoismus und mehr von Empathie geprägt ist. Weniger „Ich zahle hier, also gehört mir alles“, und mehr „Ich bin zu Gast, und ich schätze, was ich hier erlebe.“ Denn Sylt hat im Vergleich zu vielen anderen Orten einen unschätzbaren Vorteil: Es entschleunigt. Wenn man es zulässt, schenkt diese Insel einem nicht nur Ruhe, sondern auch Klarheit. Das ist einer der Gründe, warum so viele Menschen – mich eingeschlossen – immer wieder hierherkommen.
Insel der Möglichkeiten
Lasst uns Sylt so bewahren, wie es jetzt ist – rau, ruhig und authentisch. Nicht perfekt, aber echt. Denn genau das macht seinen Charme aus. Mit diesen Gedanken schließe ich meinen Novemberbeitrag ab und freue mich schon darauf, bald über die zauberhafte Weihnachtszeit auf Sylt zu schreiben. Genießt die Ruhe, den ersten Advent und die kleinen Dinge, die wirklich zählen – Sylt tut es auch.
Euer Kurt.
Kurt schreibt oft als Satire Kurt im Magazin Paul F. Wir freuen uns sehr, ihn auch für unser Magazin gewonnen zu haben. Seinen erster Satirebeiitrag konntet ihr hier bei uns lesen.
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