Sonntag, Juli 27, 2025

„Briefe für meine Kinder“ – Wenn Liebe an der Justiz scheitert

Intro:

Es ist ein stiller Aufschrei, formuliert in Briefen – an seine Kinder, an Jugendämter, Richter, an eine Gesellschaft, die oft wegschaut: In seinem Buch „Briefe für meine Kinder“ schildert Thomas Prantner eindrucksvoll und schmerzhaft präzise, was passiert, wenn ein Vater nach der Trennung nicht nur den Partner, sondern auch seine Kinder verliert. Nicht durch Unfall oder Krankheit, sondern durch Entfremdung – durch ein System, das in gut gemeinter Fürsorge oft selbst zum Problem wird.

Thomas Prantner, Hamburger Unternehmer und Vater, hat zwölf Gerichtstermine erlebt, aber keinen Weg zurück in das Leben seiner Kinder gefunden. Mit jeder Absage, jeder juristischen Hürde wurde klarer: Der Kontaktverlust ist kein Einzelfall, sondern Teil eines strukturellen Problems. Prantners Buch ist deshalb nicht nur ein sehr persönliches Zeugnis, sondern auch eine politische Forderung – nach mehr Augenhöhe, nach gerechteren Verfahren, nach einem Familienrecht, das Kinder nicht zum Spielball von Loyalitätskonflikten macht.

Im Interview mit syltexklusiv spricht Thomas Prantner über Schuld, Ohnmacht und Hoffnung – und darüber, warum er trotzdem jeden Tag einen neuen Brief schreiben würde.

Herr Prantner, warum haben Sie das Buch geschrieben?

Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich mir den Schmerz der Trennung von der Seele schreiben musste. Es war ein innerer Zwang – eine Notwendigkeit, um mit dem emotionalen Ausnahmezustand, den die Entfremdung von meinen Kindern ausgelöst hat, umzugehen.

Ich wusste nie, ob die Briefe und Geburtstagskarten, die ich über Jahre hinweg an meine Kinder geschrieben habe, sie jemals erreicht haben. Freunde berichteten mir, dass ihre Mutter diese oft abgefangen und weggeworfen hat. Das hat mir das Herz gebrochen – aber auch die Hoffnung genährt, dass es vielleicht andere Wege geben muss, um meine Gedanken, meine Liebe und meine Wahrheit zu übermitteln.

Das Buch ist genau dieser Weg. Es ist ein Versuch, eine Brücke zu bauen – zu meinen Kindern, zu ihrer Sicht auf die Vergangenheit und vielleicht auch zu einem besseren Verständnis. Ich wollte, dass sie – irgendwann, eines Tages – die Möglichkeit haben, meine Perspektive zu lesen. Dass sie erkennen, dass es immer zwei Seiten der Medaille gibt. Und dass sie vielleicht spüren, wie sehr ich sie geliebt habe – und es noch immer tue.

Viele Eltern kennen Trennungsschmerz – aber was bedeutet es, die eigenen Kinder nicht einmal mehr sehen zu dürfen?

Es ist eine Form des Schmerzes, die kaum in Worte zu fassen ist. Eine Trennung von einem Partner kann weh tun – aber wenn man seine eigenen Kinder nicht mehr sehen darf, zerreißt es einen innerlich. Es ist, als würde einem ein Teil der Seele genommen.

Man wacht morgens auf und fragt sich, wie es ihnen geht, was sie gerade erleben, ob sie lachen, traurig sind, ob sie überhaupt noch an einen denken. Und man kann nichts tun – man ist machtlos. Kein Anruf, keine Umarmung, nicht einmal ein Blick.

Es ist ein täglicher Kampf mit der Sehnsucht, mit der Hoffnung – und mit der Angst, vergessen zu werden. Es ist auch ein permanentes Gefühl von Ungerechtigkeit, weil man nicht gestorben ist, nicht gegangen ist – sondern systematisch ausgeschlossen wurde.

Für ein liebendes Elternteil ist das die grausamste Form der Trennung – weil sie gegen jede natürliche Bindung geht. Und weil man jeden Tag weiterlebt mit einer offenen Wunde im Herzen.

Sie haben mehrfach betont, dass Ihr Buch kein „Rachebuch“ sei. Was ist es stattdessen?

Mein Buch ist kein Rachebuch – ganz im Gegenteil. Es ist ein Versuch, Schmerz in Verständnis zu verwandeln. Es ist ein Zeugnis meines Erlebens, eine Sammlung von Gefühlen, Gedanken und Beobachtungen, die ich über Jahre mit mir getragen habe.

Es ist eine Briefsammlung an meine Kinder – in Buchform. Auch andere Personen, die meine Kinder kennen und erlebt haben, kommen zu Wort. Ein Versuch, ihnen eines Tages zu zeigen, wie sehr ich sie geliebt habe und wie schwer es war, von ihnen getrennt zu sein. Es ist auch eine Stimme für all jene Väter (und Mütter), die ähnliches durchleben und oft schweigen müssen. Statt Rache geht es in diesem Buch um Wahrheit, um Aufarbeitung – und letztlich um Hoffnung. Die Hoffnung, dass meine Kinder irgendwann selbst entscheiden, was sie glauben wollen. Und die Chance bekommen, auch meine Seite der Geschichte zu hören.

Was sagen Sie Menschen, die Kindesentfremdung für eine Einzelfallerscheinung halten?

Ich sage ganz klar: Kindesentfremdung ist kein Einzelfall. Man ist damit ganz und gar nicht allein. Schätzungen zufolge sind in Deutschland jedes Jahr rund 80.000 Kinder von bewusster oder unbewusster Entfremdung betroffen.

Hinter jeder dieser Zahlen steht eine Familiengeschichte – und meistens auch ein Muster: emotionale Verletzungen, Machtspiele, oder Rachegefühle, die auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden. Die Kinder werden manipuliert – oft ohne dass sie es selbst merken.

Und es bleibt nicht bei den Kindern und dem entfremdeten Elternteil. Auch Großeltern, Tanten, Onkel, Cousinen, Freunde – das gesamte soziale Umfeld leidet mit. Wenn man das alles zusammenrechnet, reden wir von Hunderttausenden, die emotional betroffen sind.

Kindesentfremdung ist ein gesellschaftliches Problem. Und es ist höchste Zeit, dass es auch als solches erkannt und benannt wird.

Haben Sie heute noch Hoffnung, Ihre Kinder wiederzusehen – und unter welchen Bedingungen?

Ja, ich habe immer noch Hoffnung. Die gebe ich niemals auf. Meine Tür wird für meine geliebten Kinder immer offenstehen – ganz gleich, wann, ganz gleich, wie.

Vielleicht führt das Schicksal uns eines Tages auf unerwartete Weise zusammen. Vielleicht begegnen wir uns auf der Straße, im Vorbeigehen – und ein Blick genügt, um etwas zum Schwingen zu bringen, das nie wirklich verloren war.

Ich stelle mir oft vor, wie dieser Moment sein könnte. Und ich frage mich immer wieder, wie ich dann reagieren würde – ruhig, überwältigt, sprachlos? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich mein Herz offenhalte und mir wünsche, dass sie eines Tages den Weg zu mir finden. Denn egal, was war: Ich liebe sie. Und das hat sich nie geändert.

Welche konkreten Reformen wünschen Sie sich im Familienrecht?

Ich wünsche mir vor allem mehr Gerechtigkeit und Augenhöhe im Familienrecht – insbesondere für Väter, die nach wie vor strukturell benachteiligt werden. In meinem eigenen Fall gab es sogar zwei unabhängige, umfangreiche Gutachten, die klar aufgezeigt haben, dass die Kindesmutter unsere Kinder unter Druck gesetzt hat und dass mein Erziehungsstil – wenn man es so ausdrücken will – der stabilere und kindgerechtere war. Doch trotz dieser klaren Hinweise hat sich niemand die Mühe gemacht, auch einmal hinter die Fassade der Mutter zu schauen. Das ist leider kein Einzelfall.

Was ich mir konkret wünsche, ist eine bessere Ausbildung der Fachkräfte – sowohl bei Jugendämtern als auch bei Gerichten. Nur wer psychologische Zusammenhänge und manipulative Dynamiken wirklich versteht, kann im Sinne der Kinder entscheiden.

Darüber hinaus halte ich das Wechselmodell im Trennungsfall für den richtigen Ausgangspunkt bei gerichtlichen Auseinandersetzungen. Es sollte die Basislösung sein – nicht die Ausnahme. Natürlich müssen individuelle Gegebenheiten wie Beruf, Wohnort und Betreuungskapazitäten berücksichtigt werden, aber:

Der Betreuungsanteil eines Elternteils sollte niemals unter 30% fallen, wenn keine gravierenden Gründe dagegen sprechen. Nur so kann langfristig einer Entfremdung entgegengewirkt und das Recht des Kindes auf beide Elternteile gewahrt werden.

Ihre Einnahmen aus dem Buch spenden Sie an „Die Arche“. Warum ausgerechnet diese Organisation?

Weil „Die Arche“ bundesweit eine hervorragende Arbeit leistet. Sie ist für viele Kinder aus schwierigen familiären Verhältnissen ein sicherer Hafen – ein Ort, an dem sie gesehen, gehört und gestärkt werden.

Gerade Kinder, die mit emotionalem oder sozialem Mangel aufwachsen, brauchen Schutzräume, in denen sie Vertrauen, Halt und Zuwendung erfahren können. „Die Arche“ ist genauso ein Ort – ein Anker im Leben vieler junger Menschen.

Mit meiner Spende möchte ich einen kleinen Beitrag leisten, um dieser wertvollen Arbeit etwas zurückzugeben – und gleichzeitig ein Zeichen setzen: für mehr Fürsorge, Gerechtigkeit und echte Chancengleichheit für unsere Kinder.

Was würden Sie Vätern (oder Müttern) raten, die gerade selbst in eine solche Entfremdungsspirale geraten?

Mein wichtigster Rat: Handeln Sie rechtzeitig. Wenn man erste Anzeichen einer Entfremdung bemerkt – sei es durch immer neue Ausreden, warum die Kinder angeblich keine Zeit für Besuchswochenenden oder Ferien haben, oder durch schleichende Einschränkungen des Umgangsrechts – dann darf man das nicht einfach hinnehmen oder aussitzen.

Ich selbst hatte rückblickend zwölf Gerichtstermine, war stets bemüht, deeskalierend zu wirken – und trotzdem wurde ich am Ende immer weiter an den Rand gedrängt. Vielleicht war ich in manchen Momenten zu ruhig, zu verständnisvoll, zu kompromissbereit. Ich hätte mir manchmal einen etwas kämpferischeren Rechtsbeistand gewünscht.

Aber eines habe ich mir stets bewusst gemacht: Es geht nicht um mich. Es geht um die Kinder.

Frei nach Brechts Kaukasischem Kreidekreis wollte ich nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen, nicht an meinen Kindern zerren, nur um „zu gewinnen“. Der Klügere gibt vielleicht nach – ja. Und das Gericht mag mich am Ende als den Schuldigen gesehen haben, obwohl ich als Opfer hineinging.

Ich habe am Ende alles verloren – und doch alles gewonnen. Denn ich kann meinen Kindern auch heute noch in die Augen schauen, mit reinem Herzen. Und wenn sie eines Tages zu mir zurückfinden, wissen sie, dass ich nie gegen sie gekämpft habe – sondern immer für sie.

Lieber Thomas, vielen Dank für das Interview.
Titelfoto: Vorder- und Rückseite des Buches „Briefe für meine Kinder“

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Stefan Kny
Stefan Kny
Stefan Kny ist Verleger, Journalist und Chefredakteur. Auf syltexklusiv.com schreibt er mit Begeisterung über das, was ihn bewegt: von Ausstellungen und Autotests bis hin zu neuen Themenwelten, die auf Sylt beginnen – oder dort ihre ganz eigene Tiefe entfalten.

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