Die St. Nicolai Kirche in Westerland: Geschichte, Architektur und Bedeutung

Die St. Nicolai Kirche ist das bedeutendste evangelisch-lutherische Gotteshaus in Westerland auf der Insel Sylt und prägt das Stadtbild seit mehr als einem Jahrhundert. Sie steht nicht nur für die religiöse Tradition der Insel, sondern auch für den gesellschaftlichen Wandel und das Wachstum Westerlands vom kleinen Friesendorf zum bedeutenden Kurort.

Geschichtlicher Hintergrund

Bis ins 19. Jahrhundert lebten die Menschen in Westerland vor allem von Landwirtschaft und Fischerei. Erst mit der Gründung des Seebads Westerland im Jahr 1855 setzte eine rasante Entwicklung ein, die die Einwohnerzahl und die Zahl der Gäste stark ansteigen ließ. Die kleine Dorfkirche St. Niels reichte bald nicht mehr aus, um die wachsende Gemeinde zu fassen. Um die Jahrhundertwende wurde der Ruf nach einer größeren Stadtkirche immer lauter. Nach langen Bemühungen und zahlreichen Spenden aus dem gesamten Deutschen Reich begann 1906 der Bau der neuen Kirche nach Plänen des renommierten Architekten Oskar Hossfeld, unter der Bauleitung des Westerländer Architekten Heinrich Bomhoff134.

Am 10. Juni 1908 wurde die St. Nicolai Kirche feierlich eingeweiht. Mit damals 750 Sitzplätzen war sie die größte Kirche in ganz Nordfriesland und wurde zunächst als „neue Kirche“ bezeichnet. Nach der Einweihung des Hindenburgdamms wurde sie zeitweise auch „Kirche am Reichsbahnhof“ genannt. Heute trägt sie den Namen des heiligen Nikolaus, Schutzpatron der Reisenden, Kaufleute und Seeleute – eine Reminiszenz an die maritime Tradition der Insel134.

Architektur und Bauweise

St. Nicolai ist ein dreischiffiger Backsteinbau im Stil des Historismus, der Elemente der Romanik und Backsteingotik aufnimmt. Die Kirche besitzt ein Querschiff, eine halbrunde Apsis und einen eingezogenen Westturm mit achteckigem, kupfergedecktem Helm. Das Langhaus ist schiefergedeckt, und über der Vierung erhebt sich ein kupferner Dachreiter. Charakteristisch sind die Rundbögen, Kreuzbogen- und Zahnfriese sowie die verputzten Blendarkaden am Turm und an den Querschiffgiebeln, die an norddeutsche Backsteingotik erinnern13.

Innenraum und Ausstattung

Der Innenraum ist flach gedeckt und wird von umlaufenden Emporen geprägt. Die Emporen an Nord- und Südwand nehmen die schmalen Seitenschiffe vollständig ein. Kleine Bögen trennen das Mittelschiff von den Seitenschiffen und der Westempore. Die Vierung wird von vier großen Bögen getragen, die dem Raum Struktur verleihen. Der Chorbereich ist kurz und geht direkt in die halbrunde Apsis über13.

Ursprünglich war das Innere der Kirche reich ausgemalt und mit einer aufwendigen Kanzel sowie einem kunstvoll geschnitzten Altar ausgestattet. Im Zuge einer umfassenden Renovierung 1962/63 wurde das Interieur jedoch radikal vereinfacht. Die Wände erhielten einen weißen oder grauen Anstrich, und die farbigen Elemente beschränken sich seitdem auf die Fenster. Der Altarbereich wird heute von einem farbenprächtigen Fenster des Künstlers Siegfried Assmann dominiert, das die Passion Jesu darstellt. Auch das Meditationskreuz auf dem Altar stammt von Assmann134.

Besondere Ausstattungsstücke

• Der romanische Granit-Taufstein aus dem 12./13. Jahrhundert ist das älteste Ausstattungsstück der Kirche. Er stammt aus der Kirche des im Meer versunkenen Dorfes Eidum und zeigt Reliefs von Tieren und Fabelwesen13.
• Die beiden Kronleuchter im Mittelgang sind mittelalterlichen Reifenkronen nachempfunden und stammen aus der Anfangszeit der Kirche. Einer davon ist eine Stiftung eines Westerländers als Dank für Gottes Güte13.
• Die Emporen sind mit kunstvollen Schnitzereien verziert, darunter auch das Westerländer Stadtwappen. Ein modernes Kunstwerk, die „Tür zum Leben“ von Angelika Kasching, befindet sich unter der Nordempore3.

Orgeln und Glocken

Die Hauptorgel wurde 1963 von der Firma Kemper aus Lübeck gebaut und verfügt über 33 Register auf drei Manualen und Pedal. Sie ist eines der wenigen noch gut erhaltenen Instrumente dieser Firma. Eine zweite, kleinere Chororgel mit sieben Registern wurde 1989 von der Firma Neuthor aus Kiel erbaut und unterstreicht die Bedeutung der Kirchenmusik in der Gemeinde13.

Im Turm der St. Nicolai Kirche hängt seit 2006 ein vierstimmiges Bronzegeläut, das die alten, beschädigten Stahlglocken ersetzt hat. Die ausgedienten Glocken stehen heute vor der Kirche als historisches Zeugnis. Die neuen Glocken wurden von der Glockengießerei Bachert in Karlsruhe gefertigt und erklingen in den Tönen e, g, a und c13.

Bedeutung für die Gemeinde und die Insel

St. Nicolai ist nicht nur ein architektonisches Wahrzeichen Westerlands, sondern auch ein lebendiges Zentrum des Gemeindelebens. Die Kirche ist ein Ort für Gottesdienste, Konzerte und kulturelle Veranstaltungen und zieht sowohl Einheimische als auch Gäste an. Besonders im Sommer war und ist die Kirche regelmäßig bis auf den letzten Platz gefüllt34.

Die wechselvolle Geschichte der St. Nicolai Kirche spiegelt die Entwicklung Westerlands wider – von der kleinen friesischen Gemeinde zum modernen Kurort. Sie ist Ausdruck des Selbstbewusstseins und des Gemeinschaftsgeistes der Sylter und bleibt ein Symbol für die Verbindung von Tradition und Gegenwart auf der Insel Sylt.

Quellen:

1. https://de.wikipedia.org/wiki/St._Nicolai_(Westerland)
2. https://de.wikipedia.org/wiki/Westerland
3. https://kirche-westerland.de/wp-content/uploads/2021/08/KGW_Kirchenflyer_StNicolai_web.pdf
4. https://kirche-westerland.de/kirchen/
5. https://www.sylt-travel.de/inselmagazin/kirchen-auf-sylt/
6. https://offene-kirche-nf.de/st-nicolai-westerland-sylt/
7. https://kirche-westerland.de/wp-content/uploads/2021/08/Flyer_St_Nicolai_Eingang.pdf
8. https://www.nordkirche-nach45.de/index.php_id=27881.html
9. https://kulturkirchen.com/kirchen/st-nicolai-westerland/
10. https://ekd-kultur.de/wp-content/uploads/2021/05/2018_Bei-Deinem-Namen-genannt_NIKOLAUS_KBderEKD.pdf

Lesetipp: Stadtmodell Westerland

Fotos: Syltexklusiv