Inhaltsverzeichnis
- Eine Spur aus Holz im Watt
- Geboren als „Britannia“ (1901): Bau, Maße, Laufbahn
- Der lange Stillstand in Schweden
- 1961: Der Traum vom schwimmenden Café
- 1962: Sturm und Strandung vor dem Weißen Kliff
- Plan B scheitert: Kabarett ohne Steg und Plan C
- 1981: Das Feuer
- Was blieb: Anker, Andenken und ein Biotop
- Heute: Ein Ort des Schauens, nicht des Begehens
- Ein Inselfragment und was es erzählt
- Quellen
Eine Spur aus Holz im Watt
Wer bei Ebbe am Weißen Kliff zwischen Braderup und Munkmarsch ins Watt blickt, erkennt in etwa 200 Metern Entfernung eine Reihe dunkler, schief in den Schlick ragender Spanten: die Reste der „Mariann“, eines einst stolzen Dreimastschoners. Sichtbar wird sie nur, wenn sich das Meer zurückzieht. Dann offenbart sich für kurze Zeit eines der eigenartigsten Geschichtsfragmente Sylts. Die Koordinaten verorten das Wrack unmittelbar vor Wenningstedt-Braderup. Für Besucherinnen und Besucher ist der Zugang ausschließlich aus der Distanz erlaubt.
Geboren als „Britannia“ (1901): Bau, Maße, Laufbahn
Die „Mariann“ begann ihr Leben im Jahr 1901 unter dem Namen „Britannia“. Der hölzerne Frachtsegler war rund 42 Meter lang und 7,5 Meter breit. Sein Rumpf bestand aus harter Eiche mit sieben Zentimeter starken Planken und 18 Zentimeter dicken Spanten. 1927 erhielt das Schiff eine Hilfsmaschine, absolvierte mehrere Atlantiküberquerungen und transportierte im Ersten Weltkrieg als neutrales Handelsschiff Lebensmittel von Schweden nach Deutschland.
Der lange Stillstand in Schweden
Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Zeit der großen hölzernen Frachtschoner vorbei. Die „Mariann“ war nicht mehr rentabel und lag abgetakelt in einem kleinen Hafen an der schwedischen Westküste. Dort wartete sie über Jahre auf eine neue Aufgabe.
1961: Der Traum vom schwimmenden Café
Zwei Sylter hatten die Idee, den alten Segler in ein schwimmendes Café zu verwandeln. 1961 wurde die „Mariann“ nach Sylt geschleppt, Zielhafen war Munkmarsch. Die Behörden lehnten jedoch die Genehmigung für Liegeplatz und Betrieb ab. Das Schiff musste den Hafen verlassen und wurde im Watt zwischen Munkmarsch und Braderup verankert.
1962: Sturm und Strandung vor dem Weißen Kliff
Der Winter 1961/62 brachte schwere Stürme über die Insel. In der Nacht zum 17. Februar 1962 riss sich die „Mariann“ von ihrem Liegeplatz in Munkmarsch los. Wind und Wasser trieben sie bis unterhalb von Braderup. Dort liegt sie bis heute, nur noch als Rumpfskelett sichtbar.
Plan B scheitert: Kabarett ohne Steg und Plan C
Nachdem die Café-Pläne gescheitert waren, sollte das Schiff zu einer kleinen Kabarettbühne umgebaut werden. Auch dieses Vorhaben scheiterte, da eine Seebrücke nicht genehmigt wurde. Ohne Steg keine Zuschauer und ohne Zuschauer kein Programm. Schließlich nutzten die Besitzer das Schiff als Partylocation, die bald zu einer lokalen Legende wurde.
1981: Das Feuer
Im Jahr 1981 brannte die „Mariann“ aus. Ob Fahrlässigkeit oder Brandstiftung den Ausbruch verursachte, ist nie geklärt worden. Seitdem haben Eis, Stürme und Salzwasser den verbliebenen Rumpf immer weiter zerstört.
Was blieb: Anker, Andenken und ein Biotop
1976 kam bei Ausbaggerungsarbeiten im Munkmarscher Yachthafen ein Relikt der „Mariann“ ans Licht: ihr schwerer Anker. Heute ist er vor dem Sylter Segler-Club aufgestellt und erinnert an die bewegte Geschichte des Schoners. Die im Watt verbliebenen Schiffsteile sind inzwischen zu einem sensiblen Naturrefugium geworden. Sie liegen im geschützten Bereich zwischen Braderuper Heide und Nationalpark Wattenmeer, dienen Seevögeln als Ruheplatz und bieten Kleinstlebewesen einen sicheren Lebensraum. Aus Gründen des Natur- und Personenschutzes ist es verboten, das Wrack zu betreten oder sich ihm direkt zu nähern.

Heute: Ein Ort des Schauens, nicht des Begehens
Wer die „Mariann“ sehen möchte, hat den besten Blick vom oberen Watt-Saum am Weißen Kliff. Empfehlenswert ist der Zugang vom Parkplatz Üp di Hiir in Braderup. Von dort führt ein kurzer Weg zur Holztreppe und dann weiter nordwärts am Watt entlang. Sichtbar ist das Wrack nur bei Ebbe. Es ist ein Ort, den man ausschließlich aus respektvoller Distanz betrachten sollte.

Ein Inselfragment und was es erzählt
Die Geschichte der „Mariann“ ist keine klassische Katastrophenerzählung, sondern eine Abfolge von Wandlungen. Sie begann als Arbeitsschiff, wurde zum Kulturprojekt, endete als provisorische Lösung und ist heute ein Denkmal. Das Wrack steht sinnbildlich für eine Insel, die immer wieder zwischen Natur und Nutzung abwägen muss. Die schiefen Hölzer im Watt ziehen den Blick an. Nicht nur wegen ihrer Form, sondern vor allem wegen der Geschichte, die sie bewahren: von Navigation und Bürokratie, von Unternehmungsgeist und Eigensinn und schließlich von der unaufhaltsamen Kraft von Wind, Wasser und Salz.
Quellen
- Sylter Segler-Club e. V., „Die Mariann-Story“ (Baujahr, Maße, Laufbahn, Sturm 1962, Ankerfund 1976).
- Sylt.de (Tourismus-Info): „Schiffswrack Mariann“ (Entstehung der Café-Idee, Verlegung ins Watt, Kabarett-Plan, Partyschiff, Brand 1981, Besuchshinweise).
- Michels Hüs – „Das Schiffswrack der Mariann“ (Herkunft aus schwedischem Hafen, Genehmigungen, Seebrücke, Brand 1981).
- WELT Reise: „Wo im Wattenmeer geheimnisvolle Schiffswracks liegen“ (Schutzstatus, Verbot des Betretens oder Annäherns, Einordnung).
- Wikimedia Commons: „Category: Mariann (ship, 1901)“ (Geokoordinaten, Ereignisjahr).
- Nordsee-Tourismus: „Schiffswrack Mariann“ (Lagebeschreibung, Sichtbarkeit bei Ebbe).
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