SyltKrimi, Dünengrab Teil 9

In unserem Fortsetzungskrimi geht es heute mit Teil 9 von Dünengrab weiter.  Hier startet der Fortsetzungskrimi.

Die blechernen Wände des Containerkomplexes übertrugen jedes Geräusch.

Es war kurz nach sechs und Bente wälzte sich auf der dünnen Matratze hin und her.

Die Frühschicht hatte begonnen. Telefonklingeln, Stimmen, Türen öffneten und schlossen sich und gefühlt 100-mal war ein `moin´ durch die Wände gedrungen.

Ulrike stand bereits wedelnd vor ihrem Bett.

»Ja, mein Mädchen, ich steh schon auf!«

Sie schlich hinter die Abtrennung zur Toilette und konnte die Unterhaltungen aus dem Nachbarcontainer mithören.

Mit dem Drücken der Spültaste wartete sie, bis das Telefon klingelte. Es kam ihr vor, als wäre sie in einem verglasten Raum und die Kollegen würden jeden ihrer Schritte beobachten. Sie warf einen Blick auf ihr Handy und las eine Nachricht von ihrem ehemaligen Chef, Harro Hamkens aus Husum, die um 4:49 Uhr eingegangen war:

Wie ist der Urlaub auf Sylt?

Ihre Antwort tippte sie mit einer Hand, während sie mit der anderen ihre Zähne putzte.

Strandwetter! Gerade Bikini gekauft, jetzt Strandkorb und ab in die Fluten!

Ein Blick nach draußen bestätigte ihre Befürchtung. Der Sturm hatte nicht nachgelassen und dicke Regentropfen prasselten an die Scheibe.

Sie stellte sich in die winzige Duschkabine und wartete auf warmes Wasser. Vergeblich. Dann sah sie den Boiler, den sie vorher hätte einschalten müssen.

»Das war die erste und letzte Nacht in diesem Etablissement!«, raunte sie Ulrike zu.

Den Tag so zu beginnen, konnte kein gutes Zeichen sein.

Als sie die Tür öffnete, stand Hansen am Schreibtisch und prostete ihr mit einem Kaffeebecher zu.

»Moin, Brodersen. Mein lieber Scholli, du schnarchst aber mit Wumms!«

Die Kollegen lachten verhalten.

»So muss wenigstens keiner von euch checken, ob ich noch lebe!«, konterte sie trocken. 

»Gibts noch Kaffee?«

»Läuft gerade durch!«, antwortete einer der Kollegen und zeigte auf eine kleine Abseite.

»Hört sich fast wie Schnarchen an!«, frotzelte Hansen und wieder wurde gelacht.

Bente schnappte sich ihre Fleecejacke vom Garderobenständer, pfiff Ulrike, die Verräterin, von Hansen weg und verließ die Wache wortlos.

Und da wundern die sich, dass es heißt, ich bin schwierig!

Eine halbe Stunde später spazierte sie mit einem heißen Kaffee und einem Buttercroissant die menschenleere Kurpromenade entlang. Der frische Wind und die salzige Luft hatten gutgetan.

Ulrike blieb alle paar Meter stehen und schnüffelte ausgiebig, wer oder was hier in den letzten 8 Stunden vorbeigegangen war.

Bente beobachtete ihre Hündin.

Im Grunde genommen war ihre Arbeit nicht anders. Sie suchte nach Hinweisen und Spuren in der unmittelbaren Vergangenheit, um nachzuvollziehen, wer wo, wann und weshalb gewesen war.

»Wenn ich nur deinen Spürsinn hätte!«, rief sie der Hündin zu, leerte ihren Becher und machte sich auf den Weg zurück zur Wache.

Es lag Arbeit vor ihr. Sie musste herausfinden, wer dieses Mädchen, das vorgab, die seit 5 Jahren verstorbene Juliette Durand zu sein, in Wahrheit war und weshalb sie eine falsche Identität benutzte.

Außerdem musste sie ihr kleines Team kennenlernen.

»Besprechung in 5 Minuten«, sagte sie forsch, als sie den Container betrat.

»Ich räume gerade mein Büro. Ist in einer Stunde für dich bereit.«, erklärte Hansen.

»Okay, wo kann ich bis dahin arbeiten?«

Hansen sah sich kurz um und zeigte auf einen Kollegen mit Halbglatze.

»Klemme, kümmerst du dich?«

Das war ein Befehl, keine Frage.

»Moin, ich bin Clemens, alle nennen mich Klemme.«, stellte er sich vor.

Er zeigte auf die Tische.

»Der hier ist besetzt, hier gehts auch nicht und der…nee, das ist Heikes.«

»Ich will nicht wissen, wo ich nicht sitzen kann!«, unterbrach Bente ihn barsch.

Jetzt wusste auch Klemme, dass sie schwierig war.

»Äh, klar, sorry!«, entschuldigte er sich, während Hansen sie aus den Augenwinkeln beobachtete.

In diesem Moment trat Heike durch die Tür und schüttelte fassungslos den Kopf.

»Wie doof muss man sein, um auf dem Autozug seinen Wagen aufbrechen zu lassen?«, rief sie statt einer Begrüßung.

Sie kam von einem Einbruchdiebstahl am Bahnhof Westerland.

»Überhaupt haben wir die letzten Tage nur dämliche Einsätze gehabt. Gestohlene Fahrräder, die alle am Bahnhof wieder auftauchten, Autoaufbrüche am Parkplatz hinten bei der Sansibar, Vandalismus in einer Gemeinschaftspraxis und jetzt dieser Einbruch auf dem Autozug. Die sind doch alle nicht ganz dicht!«

»Moin, Heike, kannst du mir eine Funkortung von Juliettes Handy und Einzelverbindungsnachweise besorgen? Wen hat sie wann angerufen und wie oft?«

»Klar, ich hol mir erst n Kaffee!«

»Ich möchte keinen Kaffee, sondern das Handy geortet haben! Irgendetwas missverstanden?«

Bentes Stimme klang wie ein Rasiermesser.

»Äh, ich wollte nur…« 

Die junge Polizistin geriet ins Stocken.

Bente schwieg.

»Äh, klar, Frau Hauptkommissarin!«

Heike setzte sich an ihren Schreibtisch und schnäuzte sich.

»Prima gemacht, Brodersen. So macht man sich Freunde!«, raunte Hansen Bente zu und ging in die Teeküche.

Bente folgte ihm und schloss die Tür hinter sich.

»Ich bin nicht hier, um Freundschaften zu schließen, Hansen!«

Der alte Polizist sah sie mitleidig an.

»Sie hat dir nichts getan. Sie ist jung, unerfahren und unser kleiner Sonnenschein!«

»Das hier ist ein Polizeirevier, Hansen, keine Kita!«

Die Kollegen nebenan waren mucksmäuschenstill und lauschten dem Schlagabtausch.

»Und wenn es dir nichts ausmacht, Hansen, würde ich es begrüßen, wenn wir uns darauf konzentrieren, Juliette Durand oder wer immer sie auch ist, ausfindig zu machen.«

Bente nahm ihm den Becher aus der Hand, ging zurück zu den Kollegen und stellte Heike den Kaffee vor die Nase.

Sie sah das Zucken um Hansens Mundwinkel, als sie ihren Platz wieder einnahm, aber es war ihr egal.

Bente spürte die Blicke auf sich ruhen und wusste, dass sie überreagiert hatte. Das war nun mal ihre Art und die Kollegen würden sich daran gewöhnen müssen!

Warum triggerte der alte Hansen sie so?

Er verkörperte alles, wogegen sie die letzten 20 Jahre angekämpft hatte. Und obendrein erinnerte er sie an ihren Vater!

Seufzend stemmte sie sich vom Schreibtisch hoch, nahm ihre Jacke und warf Heike ihre zu.

»Kommst du kurz mit raus?« 

Sofort bildeten sich wieder Tränen in ihren Augenwinkeln, aber sie nickte und folgte Bente. Ulrike schlüpfte im letzten Moment durch die Tür und freute sich über die unverhoffte Fortsetzung der Gassirunde.

Bente suchte die richtigen Worte. Sich zu entschuldigen war hundert Mal schwieriger, als jemanden anzuranzen.

»Tut mir leid, ich bin mit dem falschen Fuß aufgestanden!«

Erleichtert drehte Heike sich zu ihr und strahlte.

»Schon gut! Passiert!« 

Bente gab dem alten Hansen recht. Sie war ein Sonnenschein!

Eine Limousine bog auf den Parkplatz vor der Wache ein und Bente erkannte Maik Dreesen hinterm Steuer und Benno Larsen auf dem Beifahrersitz.

»Da wollen wir doch mal sehen, was die feinen Herren zu dieser frühen Stunde zu uns treibt!«, raunte sie Heike zu, als der Anwalt aus dem Auto stieg.

»Herr Dreesen, der frühe Vogel fängt den Wurm, was? Darf ich bitten?«

Bente öffnete die Tür und ließ Heike und Dreesen den Vortritt.

Er ignorierte ihren Sarkasmus und kam ohne Umschweife zur Sache.

»Mein Mandant, Benno Larsen, möchte etwas richtigstellen!«

Bente sah zu Hansen hinüber.

»Haben wir hier einen freien Raum?«

»Es gibt ein Besprechungszimmer!«

»Warum leistet Ihr Mandant, Herr Larsen, uns nicht Gesellschaft?«

»Wenn Sie es wünschen, hole ich ihn herein.«

Bente nickte und wandte sich an Hansen.

»Bist du dabei?«

»Auf jeden Fall! Nimm Heike auch mit!«

Sie sah zu Heike, die an ihrem Tisch Platz genommen hatte und sie unwillkürlich an Ulrike erinnerte. Der gleiche, bettelnde Blick.

Erst gestern Abend in der Pizzeria hatte sie eindeutig klargestellt, mit Mord nichts zu tun haben zu wollen.

»Mensch, Brodersen, sei nicht so stur, vertrau mir!«, murmelte Hansen durch seinen Bart.

Ihr war nicht klar, was er damit bezweckte, beschloss aber, ihm zu vertrauen.

»Heike, du begleitest uns!«

Ihre Augen quollen über vor Überraschung.

»Äh…!«

»Jetzt!«, befahl Bente in barschem Ton, als Dreesen mit Benno Larsen wieder hereinkam.

Ulrike kam unter dem Schreibtisch hervor, um die Neuankömmlinge zu beschnüffeln.

»Ich mag keine Hunde!«, rief Benno Larsen prompt.

»Keine Sorge, sie mag Sie auch nicht!«

Mit einer Handbewegung und einem kurzen Befehl schickte sie Ulrike wieder unter den Tisch auf ihre Decke.

Bentes Gedanken rasten in Lichtgeschwindigkeit durch ihre Gehirnwindungen.

Was konnte er wollen?

Benno Larsen sah sich mit arrogant hochgezogenen Augenbrauen in dem kargen Behelfsbüro um.

Hansen führte den Trupp in einen Besprechungsraum, der lediglich mit Tisch, Stühlen und Clipboard ausgestattet war. Bente setzte sich gegenüber von Benno Larsen und Maik Dreesen. Hansen und Heike nahmen rechts und links neben ihr Platz.

»Was möchten Sie richtigstellen, Herr Larsen?«

Sie rückte ein Diktafon in die Mitte des Tisches.

Dreesen reagierte prompt.

»Keine Aufzeichnung!«

»Bitte? Wir sind hier bei der Polizei. Vernehmungen werden aufgezeichnet!«

»Das hier ist keine Vernehmung, Frau Kommissarin. Mein Mandant ist freiwillig hier und möchte inoffiziell etwas richtigstellen. Er ist an der Aufklärung des Falles interessiert. Wir können auch wieder gehen!«

Bente hob die Hände und schaltete das Diktafon demonstrativ aus.

»Nun gut, Herr Larsen, was möchten Sie richtigstellen?«

Warum hatte sie nur das Gefühl, dass er die ganze Angelegenheit als Spiel betrachtete?

»Weiß Ihre Frau, dass Sie hier sind?«

Für den Bruchteil einer Sekunde bekam seine Maske einen Riss. Sie hatte ihn überrascht.

Larsen wandte sich an seinen Anwalt.

»Ich möchte das hier allein machen!«

»Was?« 

Dreesen reagierte verärgert.

»Benno, ich als euer Anwalt sollte dabei sein, unbedingt!«

Larsen schüttelte den Kopf.

»Nein, ich möchte mit der Kommissarin allein sprechen!«

Bente beobachtete ihn und Dreesen konzentriert. 

Ganz offensichtlich war dieser aalglatte Rechtsanwalt genauso überrascht wie sie.

Sie hatten sich nicht abgesprochen.

»Ich muss protestieren!«, intervenierte Dreesen ein letztes Mal, aber Benno Larsen bestand auf ein Gespräch mit Bente unter vier Augen.

Dreesen, Hansen und Heike verließen das Besprechungszimmer und sie blieben allein zurück.

Es dauerte einen Moment, aber dann legte Larsen schlagartig die offen zur Schau gestellte Arroganz ab.

Mit aufgerissenen Augen beugte er sich über den Tisch zu Bente und flüsterte:

»Ich habe Angst vor meiner Frau!«

In Kooperation mit der Krimi-Autorin Krinke Rehberg präsentieren wir Ihnen den fesselnden Syltkrimi Dünengrab in mehreren Teilen. Jeden Samstag erscheint morgens ab 8.00 Uhr ein neuer Teil, des SyltKrimis. Lehnen Sie sich zurück, lassen Sie sich mitreißen und verpassen Sie Woche für Woche keine Folge des SyltKrimis. 

Weiter geht es in Teil 10 SYLTKRIMI Dünengrab am kommenden Samstag. 

Titelbild: Unis Riba/Shutterstock.com

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