Die Inselbahn: am Bahnhof Westerland erinnern Relikte an eine vergangene Epoche: ein Denkmal, Schienenreste – Zeugnisse der Sylter Inselbahn. Mit einer Spurweite von 1000 Millimetern war sie über acht Jahrzehnte das Rückgrat des Insellebens und Motor des touristischen Aufschwungs.

Die Entstehung: Von der Pferdekutsche zur Schmalspurbahn
Bis Ende des 19. Jahrhunderts war Sylt von Pferdewagen und Sandwegen geprägt. Der aufkommende Seebad-Tourismus erforderte neue Transportlösungen. 1888 entschied die Kurdirektion Westerland den Bau einer meterspurigen Schmalspurbahn mit einer Spurweite von 1000 Millimetern. Die erste Strecke, die Ostbahn, verband den Fährhafen Munkmarsch mit Westerland und war 4,2 Kilometer lang.
Die Inselbahn als Lebensader: Ausbau und Blütezeit
Mit der Eröffnung der Ostbahn am 8. Juli 1888 begann das Zeitalter der Eisenbahn auf Sylt. Die Bahn wurde schnell zur Lebensader: Sie transportierte Kurgäste, Insulaner, Waren und Post. Die Fahrt auf der Ostbahn dauerte laut Fahrplan 1921 gerade einmal zwölf Minuten. Die Abfahrtszeiten waren eng mit den tidengesteuerten Fährschiffen abgestimmt, um einen reibungslosen Übergang vom Festland auf die Insel zu gewährleisten.
Nach und nach entstand ein Netz, das die wichtigsten Orte Sylts verband: Die Nordbahn erschloss ab Westerland die Ortschaften Wenningstedt, Kampen und List – teils durch Dünen, teils über den Geestrücken der Insel. Sogar militärische Anschlussstrecken wurden gebaut, etwa zum Ellenbogen, dem nördlichsten Punkt Deutschlands.
Die Bahn war nicht nur ein Transportmittel, sondern Motor des wirtschaftlichen und touristischen Aufschwungs. Sie machte Sylt für Badegäste aus ganz Deutschland erreichbar und erschloss die Insel für die Moderne.

Inselbahn Technik: Achsen, Fahrzeuge und Betrieb
Die Sylter Inselbahn war eine klassische Schmalspurbahn. Die Fahrzeuge waren ein bunter Mix: Anfangs dampfbetriebene Lokomotiven, später auch Dieselloks und umgebaute Lkw-Zugmaschinen. Die Achsanordnung war an die leichten Gleise und engen Kurven angepasst. Die Waggons stammten oft aus ausrangierten Beständen anderer Kleinbahnen, etwa aus Rendsburg oder Eckernförde.
Der Fahrkomfort war bescheiden: Die Wagen hatten anfangs keine Heizung, die Bänke waren aus Holz, und es ruckelte und holperte oft gewaltig. Doch gerade das machte den Charme der Bahn aus – und brachte ihr Spitznamen wie „Rasende Emma“, „Käseschieber“ oder „Feuriger Elias“ ein.
Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb die Sylter Inselbahn als zentrales Verkehrsmittel auf der Insel erhalten. Die beiden Hauptstrecken verbanden Westerland mit List im Norden und mit Hörnum im Süden. Bis 1955 dominierten weiterhin kleine Dampflokomotiven den Betrieb, doch der technische Fortschritt und die wirtschaftlichen Herausforderungen der Nachkriegszeit führten zu einem grundlegenden Wandel.
Die Ära der Borgward-Triebwagen und die SVG
Ab 1952 begann eine neue Ära: Fünf Triebwagen wurden als Ersatz für die alten Dampfloks in Dienst gestellt. Diese Fahrzeuge waren eine technische Besonderheit. Die Triebwagen basierten auf Zugmaschinen des Typs Borgward B 4500, die für den Schienenbetrieb umgebaut wurden. Die Auflieger und Anhänger entstanden in der eigenen Werkstatt der Sylter Verkehrsgesellschaft (SVG) in Westerland. Die ersten Fahrten eines solchen Leichttriebwagens fanden am 5. Oktober 1952 statt. sylter-duenenexpress.de
Die Borgward-Triebwagen waren speziell auf die Anforderungen der Insel zugeschnitten. Die losen Sandgleise und engen Kurvenradien machten leichte, wendige Fahrzeuge notwendig. Die Triebwagen boten 53 Sitz- und 35 Stehplätze, waren 15,43 Meter lang und konnten bis zu 50 km/h schnell fahren. Ihre robuste Bauweise und die Anpassung an die Inselverhältnisse machten sie bis zur Stilllegung der Bahn 1970 unverzichtbar. SVG Leichttriebwagen
1952 wurde die Sylter Verkehrsgesellschaft gegründet, die ab 1957 eine Straßenbahnkonzession für den Betrieb der Inselbahn erhielt. Diese rechtliche Änderung hatte weitreichende Folgen: Die Triebwagen wurden als Straßenbahnen zugelassen, was die Investition in teure sicherheitstechnische Anlagen, wie sie für Eisenbahnen vorgeschrieben waren, überflüssig machte. Damit konnte die SVG zahlreiche Vereinfachungen durchsetzen und den Betrieb wirtschaftlicher gestalten.
Neben den Borgward-Triebwagen wurden auch Fahrzeuge anderer Kleinbahnen aufgekauft und auf Sylt eingesetzt, darunter Wismarer Schienenbusse und Talbot-Triebwagen. Die Modernisierung des Fuhrparks war notwendig, um den wachsenden Fahrgastzahlen in der Wirtschaftswunderzeit gerecht zu werden: Zwischen 1950 und 1959 stieg die Zahl der Passagiere deutlich.
Die SVG-Leichttriebwagen prägten das Bild der Inselbahn in den letzten Betriebsjahren. Sie waren nicht nur technisch innovativ, sondern auch optisch markant: Anfangs elfenbeinfarben lackiert, später in verschiedenen Rot- und Creme-Tönen, trugen sie ab Mitte der 1960er Jahre sogar Außenwerbung für bekannte Marken.

Konkurrenz, Niedergang und Ende der Inselbahn
Mit der Eröffnung des Hindenburgdamms 1927 und der Einführung der normalspurigen Marschbahn auf die Insel änderte sich die Verkehrslage grundlegend. Autos und Busse wurden zur Konkurrenz, der Bedarf an einer eigenen Inselbahn sank.Die Bahn hätte in den 1970er-Jahren umfassend modernisiert werden müssen – Investitionen von rund 15 – 20 Millionen Euro waren nötig, doch die Bereitschaft dazu fehlte.
Am 29. Dezember 1970 fuhr die Inselbahn zum letzten Mal. Die Relikte verschwanden schnell, die Personenbeförderung übernahmen fortan Busse. Was blieb, sind Erinnerungen, einige Denkmäler und ein Hauch von Eisenbahnromantik.
Nachwirkung und Bedeutung
Die Sylter Inselbahn ist bis heute ein Symbol für die Entwicklung der Insel. Sie steht für den Aufbruch in die Moderne, für die Verbindung von Tradition und Fortschritt, für den Wandel vom abgeschiedenen Eiland zum mondänen Seebad.Ihre technische Ausgestaltung – von der Spurweite bis zu den Achsen – erzählt von Pragmatismus, Improvisation und Pioniergeist.
Bis heute gibt es immer wieder Diskussionen über eine Wiederbelebung der Bahn, nicht zuletzt angesichts der Verkehrsprobleme auf der Insel. Doch bislang blieb es bei Ideen und nostalgischen Rückblicken.
Fazit
Die Sylter Inselbahn war weit mehr als ein technisches Kuriosum. Sie war ein Stück gelebte Geschichte, ein Motor des Fortschritts – und ein Mythos, der bis heute nachwirkt. Ihre Spurweite und ihre Achsen sind Symbole für eine Zeit, in der die Eisenbahn die Welt veränderte – auch auf Sylt.
Gegenüber finden sich die Reisenden Riesen. Wenige Gehminuten entfernt die St. Nicolai Kirche.