In unserem Fortsetzungskrimi geht es heute den letzten Teil von Dünengrab weiter. Hier startet der Fortsetzungskrimi.
»Jetzt spann mich nicht auf die Folter, Brodersen. Erzähl schon!«
Hansens Stimmung kippte.
»Tja, Hansen, das sind Ermittlungsergebnisse, die noch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind.«
Bente genoss es sichtlich, ihn zappeln zu lassen.
Seit sie am frühen Abend zurück auf der Insel waren, hatten sie alle Hände voll zu tun, den Bericht zu schreiben.
Natürlich hatte es nicht lange gedauert, bis Hansen von der Sache Wind bekommen hatte, und nun saß er vor seinem ehemaligen Schreibtisch und war kurz davor, zu betteln.
»Nun komm schon Brodersen, ich kriegs ja sowieso raus!«
Er startete den Versuch, ein Gewinnerlächeln aufzusetzen, der jedoch misslang.
»Ja, aber von mir ist es aus erster Hand!«, lachte sie.
»Ich werde allen Pizzadiensten auf der Insel untersagen, an dich zu liefern!«
»Damit hast du sie!«, flüsterte Heike ihm, für Bente hörbar, zu.
»Schon gut, Hansen, auch wenn wir hier Späße machen, die ganze Sache ist wirklich nicht lustig! Wir sind mit dem ersten Zug aufs Festland, haben gleichzeitig um Amtshilfe bei der Hamburger Kripo ersucht und kurz vor sieben standen wir bei Dreesen vor der Tür.«
»Dreesen also? Wir seid ihr auf ihn gekommen?«
»In der Patientenakte von Juliette Durand, also der echten, stand sein Name. Er war als Notfallkontakt eingetragen.«
»Moment mal, du liest morgens um halb vier deine Mails?«
»Vergiss es, Hansen! Ich will nicht über meine Bettgepflogenheiten sprechen!«
»Okay, weiter!«
»Dreesen hat uns die Tür im Bademantel aufgemacht und mir war sofort klar, dass wir den Jackpot geknackt hatten. Er sah mich mit einer Mischung aus Verzweiflung, Überraschung und Schuld an, sagte aber kein Wort, außer….?«
»Ich will mit meinem Anwalt sprechen?«
»Korrekt! Wir haben die Wohnung durchsucht und Bilder von ihm und Juliette Durand gefunden. Dreesen hat damals in einer Kanzlei in Lyon gearbeitet. Da haben sie sich kennengelernt. Es war sein Kind, was bei dem Sturz ums Leben kam.«
»Was war das für ein Unfall?«
Hansen hing an ihren Lippen.
»Im Krankenhaus hatte sie angegeben, dass sie wegen eines Tritts des Babys einen Schlenker gemacht hatte und vor ein Auto gefahren war. Ihr war nichts passiert, aber als sie weitergefahren war, hatte sie festgestellt, dass Blut an ihren Schenkeln hinabgelaufen war. Sie war sofort ins Krankenhaus gefahren.«
»Und der Wagen war der von Benno Larsen, richtig?«
Bente nickte.
»Als ich las, dass sie sich im Krankenzimmer nach der Totgeburt erhängt hatte, passte plötzlich alles zusammen!«
»Schrecklich!«, seufzte Heike.
»Hat er gestanden? Und wer ist das Au-pair-Mädchen?«
»Dreesen hat bis jetzt noch kein Wort gesagt. Er ist dem Haftrichter vorgeführt worden und wird wahrscheinlich nach Flensburg verlegt. Als wir ihn abführten, tauchte Juliette Durands Schwester Sophie in Joggingklamotten vor der Tür zu Dreesens Wohnung auf. Sie ist das Au-pair-Mädchen und hat sofort ein umfassendes Geständnis abgelegt.«
Bente dachte an die junge Sophie Durand.
Ihre Eltern waren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, als sie 13 Jahre alt war. Die gerade volljährige Schwester Juliette hatte die Vormundschaft beantragt und auch erhalten, da die Großeltern früh verstorben waren. Das Verhältnis der beiden Vollwaisen zueinander war eng und einzigartig gewesen. Der tragische Unfall hatte Sophie allein zurückgelassen. Lediglich bei dem Freund ihrer Schwester, Maik Dreesen, hatte sie Trost in Form von Rachegedanken gefunden.
»Maik Dreesen hat ihre Wut und Rachegelüste genutzt, um sie als Komplizin zu gewinnen. Er hat sie als Au-pair-Mädchen bei den Larsens eingeschleust und alles vorbereitet. Von den Fotos, die übrigens ohne den Kontext einer Affäre vollkommen unverfänglich und harmlos sind, bis hin zu dem Schwangerschaftstest.«
»Dann ist sie von Maik Dreesen schwanger? Das ist doch krank!«
Hansens Weltbild schien einmal mehr ins Wanken zu geraten.
Bente schüttelte den Kopf.
»Sie ist nicht schwanger und hat ausgesagt, lesbisch zu sein. So, wie Benno Larsen es uns berichtet hat.«
»Und wie ist der positive Test zustande gekommen?«
»Du erinnerst dich an den Einbruch in die Gemeinschaftspraxis von vorletzter Woche?«
Hansens Augen wurden groß.
»Sophie hat ausgesagt, dass sie in den Räumen des Gynäkologen einfach mehrere Teststreifen in die Urinproben, die im Kühlschrank aufbewahrt wurden, getaucht hatte. Als sie einen positiven Test hatte, war sie wieder gegangen.«
»Die Planung, mit der das alles vorbereitet wurde, macht die Tat umso grausamer.«
»Alles zielte darauf ab, uns davon zu überzeugen, dass Lisa Sellering einen plausiblen Grund hatte, die Larsens umzubringen und sich dann aus Verzweiflung selbst zu erhängen. Das war der Plan.«
Heike übernahm es nun, Hansen ins Bild zu setzten.
»Sophie hat ausgesagt, dass Dreesen von Benno Larsens Affäre mit Lisa Sellering wusste. Er hatte sie zufällig in Hamburg getroffen und sie war am Boden zerstört gewesen, weil Larsen sie abserviert hatte. Dreesen versicherte ihr, dass sein Freund Benno die Trennung ebenfalls bereue und vermittelte ihr die Wohnung im Nachbarhaus in Kampen.«
»Und warum der falsche Pass?«
»Das war tatsächlich ein Alleingang von Sophie. Sie hatte ihn als Andenken behalten und wollte quasi als ihre Schwester Rache nehmen. Dreesen hatte wohl getobt, als er davon erfahren hatte.«
»Und Benno Larsen war der Fahrer damals in Lyon?«
»Das wissen wir nicht! Es gibt keine Polizeiakte und wahrscheinlich hat es sich wirklich um eine tragische, aber nicht ersichtliche Verletzung bei Juliette Durand gehandelt. Ich bezweifle sogar, dass die Larsens überhaupt etwas von den Folgen des Unfalls wussten.«
»Und woher wusste Dreesen, dass es Larsens Auto war?«
»Benno Larsen hatte ihm Monate später bei irgendeiner Gelegenheit erzählt, dass ihm bei dem Urlaub in Lyon mal eine bekiffte Frau vors Auto geradelt sei und seinen Rat als Anwalt gesucht. Von da an hatte er seine Rache geplant. Für ihn waren die Schmerzen von Juliette, die ihr totes Kind hatte zur Welt bringen müssen und danach Selbstmord begangen hatte, tief in ihm verwurzelt. Er war die ganze Zeit bei ihr im Krankenhaus gewesen und als er vor Erschöpfung an ihrem Krankenbett eingeschlafen war, hatte sie sich erhängt. Er muss sie gefunden haben, als er aufwachte.«
Hansen setzte sich in seinem Stuhl zurück und strich verwundert über seinen Bart.
»Seine Emotionen hatte er jedenfalls gut hinter seinem Anwaltsgesicht verborgen gehalten!«
Bente reagierte trocken und verhalten. Sie konnte sich nicht ansatzweise vorstellen, was Dreesen im Krankenhaus hatte durchmachen müssen.
»Danach habe ich mir die Testamente der Larsens vorgenommen. Wie erwartet, erbt die Tochter alles, aber Dreesen hat Svea vor 7 Monaten irgendwie dazu gebracht, ihn als gerichtlichen Vormund für Jördis zu bestimmen. Bis zu ihrer Volljährigkeit hätte er Zugriff auf ein gewaltiges Vermögen gehabt. Ich bin mir sicher, dass er in finanziellen Schwierigkeiten steckt und sein Motiv, neben der Rache auch Habgier war.«
»Das heißt, die Sellering ist tatsächlich nur ein Bauernopfer gewesen, um die Morde als Beziehungstaten darzustellen? Das ist an Skrupellosigkeit kaum zu überbieten!«
Hansen seufzte.
»Er wäre beinahe damit durchgekommen, aber wir haben ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht!«, rief Heike und klatschte zufrieden in die Hände.
»Ich habe doch gesagt, Hansen. Ich stelle Mörder!«
Bente sah ihn an und wartete. Sie mochte ihn und hatte Respekt vor seiner Arbeit, aber er hatte etwas vergessen. Hansen hielt ihrem Blick stand und sie bemerkte den Schalk in seinen Augen.
»Die Strickjacke fehlt noch!«, brummte er.
»Ich dachte schon, du kämst nie drauf, Hansen!«, grinste Bente erleichtert.
»Die Jacke hatte Juliette bei dem Unfall getragen und das Blut stammte von ihr. Sophie hat ausgesagt, dass sie die Jacke in die Heide gelegt hatte, in der Hoffnung, dass Svea und Benno Larsen sich erinnern würden. Sie sollten Angst bekommen und im Angesicht des Todes wissen, weshalb sie sterben würden. Zudem hatte sie das Brotmesser auf den Tisch im Kinderzimmer gelegt, um sicherzustellen, dass Svea Larsen die Polizei rufen würde. Sie hat bei Torben Niemann angerufen, damit Svea frühzeitig nachhause fahren würde. Es war ihr wichtig, dass die kleine Jördis nicht länger als eine viertel Stunde allein war. Und als Dreesen sie im Auto zurückgelassen hatte, um nach Benno auch Svea zu ermorden, ist sie zum Nachbarhaus gerannt und hat für den Notruf gesorgt.«
»Gewissensbisse?« hakte Hansen skeptisch nach.
»Offenbar spielte auch dabei ihre aufrichtige Sorge um Jördis eine Rolle. Sie wollte in letzter Sekunde verhindern, dass die Kleine zur Vollwaisin wird. Das ist total psycho, aber irgendwie auch nachvollziehbar. Für Sophie war der Unfall ihrer Schwester lebenszerstörend, aber die Larsens hatten einfach keine Ahnung. Sie sind gestorben, ohne ihre Rolle in dieser Tragödie zu kennen.«
»Gut gemacht, Brodersen!«
Bente stand auf und stellte sich ans Fenster. Die Aussicht war trostlos und genauso fühlte sie sich.
Drei Leichen, sinnlos ermordet.
Ein kleines Mädchen, Vollwaise.
Eine junge Frau, ebenfalls Vollwaise und Mitwisserin dreier Morde.
Das Fazit war niederschmetternd.
Sie spürte Ulrikes Zunge an ihrer Hand und straffte die Schultern, bevor sie sich umdrehte.
»Heike, hast du Lust auf eine Hunderunde?«
ENDE
In Kooperation mit der Krimi-Autorin Krinke Rehberg präsentierten wir Ihnen den fesselnden Syltkrimi Dünengrab in mehreren Teilen. Jeden Samstag erschien morgens ab 8.00 Uhr ein neuer Teil, des SyltKrimis. Was kommt als Nächstes? Lassen Sie sich überraschen.
Titelbild: Unis Riba/Shutterstock.com.